Systeme

Anerkennung der Komplexität

By Kevin Isenberg

June 12, 2020

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Anerkennung der Komplexität in Systemen mit menschlichen Akteuren

Warum erhalten wir nicht das Verhalten von einem Akteur in einem System, obwohl wir doch meinen zu wissen, wie er sich verhalten wird? Auf diese Frage möchte ich mit der Systemlehre und der Komplexität der menschlichen Psychologie näher eingehen.

Es lassen sich viele Akteure beobachten, die die Annahme haben, dass wenn sie ein Produkt X zum Zeitpunkt Y entwickeln, wird der Umsatz um Z ansteigen.

Was passiert in der Praxis?

Oft passiert das Gegenteil. Der Kunde verhält sich nicht so, wie erwartet und die Umsatzplanung lässt sich nicht mehr aufrechterhalten. Dies liegt daran, dass der Kunde nicht rein rational handelt und sein Verhalten durch innere und externe Einflussfaktoren beeinflusst werden. Selbst wenn der Kunde nur den inneren Faktoren unterliegt, reagiert er emotional und mit allen Sinnen (Hören, Riechen, Schmecken, Sehen, Tasten) auf das Produkt.

Beispiel

Das Unternehmen entscheidet sich für die Einführung eines neuen Produktes in einem bekannten Markt. In dem Markt gibt es einen gesellschaftlichen Paradigmenwechsel und der Entscheider möchte auf diesen Wechsel reagieren. Aus dem Grunde entscheidet er sich, eine Marketingkampagne im Markt durchzuführen. Dabei berücksichtigt er nicht, dass die von ihm gesendete Botschaft von der Zielgruppe nicht angenommen wird - auf rational und/oder emotionaler Ebene. Wird ein vereinfachtes Sender-Empfänger-Modell angenommen, dann entsteht ein gestörtes Verhältnis zwischen den beiden Akteuren.

Folglich wird das Produkt nicht vom Markt und letztendlich Kunden angenommen - im schlimmsten Fall wirkt sich die Einführung negativ auf das Branding des Unternehmens aus und es entsteht ein Imageschaden.

Was ist nun die Folge?

Um den Kunden besser zu verstehen, muss grundsätzlich eingeordnet werden, in welcher Art von System sich der Entscheider und der Kunde als Akteure im Anwendungsfall befinden. Als ein Modell zur Einordnung von Systemen lässt sich das Cyneffin-Modell anwenden, welches ein System in verschiedene Kategorien einordnet. Für diesen Artikel wird das folgende vereinfachte Cyneffin-Modell angenommen:

Angepasstes Cyneffin-Modell
Angepasstes Cyneffin-Modell

Erläuterung der einzelnen Kategorien

Was bedeutet dies für den Entscheider in komplexen oder chaotischen Systemen?

Für den Entscheider ist es zwingend notwendig, eine Erkenntnis über das System in dem er sich befindet zu besitzen und es klassifizieren zu können. Kann er dies nicht, werden die Ergebnisse für den Entscheider verwundernd sein, wenn beispielweise kein Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung mehr besteht.

Wie lässt sich das Modell weiter differenzieren?

Um das Modell weiter zu differenzieren, ist es notwendig anzunehmen, dass sich das System dynamisch verhält und keine starre Gruppierung ist. Der Übergang zwischen den Gruppen ist fließend. Um dies zu verdeutlichen, müssen wir das Cyneffin-Modell unter mit zwei weiteren Dimensionen erweitern: Die Zeit bis zur Entscheidung und die Informationen, die im System zur Verfügung stehen. Es ist zwingend notwendig zu berücksichtigen, dass der Entscheider Teil des Systems ist und das System nicht als externe Entität beurteilen kann.

Eine Weiterentwicklung des Modells lässt sich mit der Stacey-Matrix vornehmen.

Angepasste Stacey-Matrix für Systeme
Angepasste Stacey-Matrix für Systeme

In der Stacey-Matrix finden wir die gleichen Kategorien wie im Cyneffin-Modell. Zusätzlich wurde die Dimension Zeit und die im System zur Verfügung stehenden Informationen mit aufgenommen.

Die Dimension Zeit beschreibt die Schnelllebigkeit und Dynamik des Systems. Wie schnell muss der Akteur auf Veränderungen des Systems reagieren und wie schnell verändert sich das System? Anhand dieser Fragen kann der Entscheider die Dimension einordnen. Bei einfachen Systemen ist eine hohe Schnelllebigkeit gegeben, da die Ursache-Wirkung-Beziehung klar ist. Wenn mehrere einfache Systeme zusammenspielen, ist mehr Zeit notwendig, da der Entscheider das gesamte System verstehen und die Informationen verarbeiten muss.

Die Dimension Informationen beschreibt die Menge an Informationen und das Verständnis des Akteurs von den Informationen innerhalb eines Systems. Falls der Entscheider Informationen nicht vollständig verarbeiten kann, ist das System für den Entscheider komplex, da er in seiner Wahrnehmung von Faktoren beeinflusst wird, deren Ursache-Wirkung-Beziehung er nicht versteht. Bei komplexen Systemen kommt der Grad der Vollständigkeit der Informationen dazu: Sind dem Akteur alle Informationen bekannt und ihm fehlt nur das Verständnis darüber, dann wirkt das System komplex. Sofern es einen Akteur gibt, der alle Informationen hat und das Verständnis darüber, ist das System für diesen Akteur kompliziert und es gibt weiterhin eine klare Ursache-Wirkung-Beziehung.

Das System wird komplexer, je mehr Informationen dem Akteur zur Verfügung stehen und je weniger er die Ursache-Wirkung-Beziehung versteht. Lässt sich die Ursache-Wirkung-Beziehung analysieren und es gibt keine linearen Ergebnisse, ist das System komplex. Nicht lineare Ergebnisse liegen dann vor, wenn ein Ereignis gleich durchgeführt wird und es zu einem abweichenden Ergebnis zur vorigen Ausführung kommt.

Bei chaotischen Systemen gibt durch den Zufall keine Ursache-Wirkung-Beziehung mehr; der Akteure glaubt Muster zu erkennen, diese sind durch den Zufall aber hinfällig und nicht reproduzierbar. Die Schnelllebigkeit im System ist irrelevant und durch den Zufall besitzt der Akteur nur eingeschränkt die Möglichkeit, das System zu analysieren. Ein extremes chaotisches System sieht wie folgt aus: Ein extrem reaktives Verhalten ist vom Akteur gefordert durch eine sehr hohe Schnelllebigkeit und das Auftreten von Zufällen. Der Akteur wird dazu gedrängt, auf Ereignisse zu reagieren. Er kann in der Retrospektive nur beurteilen, ob seine Reaktion während des Ereignisses angemessen war. Eine Aussage darüber, ob die durch ihn vorgenommen Handlungen korrekt waren ist nicht mehr möglich, da es keine Vergleichbarkeit zu anderen Ereignissen gibt. Dies liegt daran, dass durch den Zufall jedes Ereignis einzigartig ist.

Wie lässt sich die Kenntnis über Systeme einsetzen?

Wenn eine hohe Kontrolle über ein System vorliegt, lassen sich Akteure durch den Entzug von Informationen und die Beeinflussung der Schnelllebigkeit im System unter Druck setzen. Dafür tritt im besten Fall der Akteur als externe Entität des Systems auf oder er ist innerhalb des Systems in der Lage, dass System direkt zu beeinflussen. Damit der Akteur die Daten verarbeiten und er ein Verständnis über das System erlangen kann, muss die Dynamik im System verringert werden. Dies kann vorgenommen werden, in dem die Zeit zwischen den Ereignissen lang genug für die Verarbeitung in Form von Retrospektiven ist und dem Akteur möglichst alle Informationen vorliegen. Wird in einem System Transparenz und Offenheit geschaffen, dann stehen den Akteuren die Informationen zur Verfügung und entscheidend ist die Qualität der Verarbeitung der Informationen.

Zusätzlich kommt hinzu, dass nicht nur Menge an Informationen als Vollständigkeit zu definieren ist. Auch ist die Art der Verarbeitung und das damit gewonnene Gesamtverständnis des Akteurs relevant. Dies lässt sich verdeutlichen, in dem einem Akteur alle relevanten Fakten präsentiert werden und durch psychologische Biases wie z.B. das Tunneling er nicht mehr in der Lage ist, alle Informationen subjektiv zu verarbeiten. Beim Tunneling verfällt der Akteur einem Tunnelblick und nimmt Informationen nur in seiner Wahrnehmung war, nicht aus der Sicht von anderen Akteuren. Solange der Akteur dem Bias unterliegt, wird er keine breitere Wahrnehmung über das System erlangen.

Durch die Förderung von Bias mit Methoden wie der Traumatisierung kann das Verhalten des Akteurs innerhalb eines Systems beeinflusst werden.

Je mehr Informationen fehlen und desto dynamischer das System ist, desto mehr ist ein aktives Handeln vom Akteur gefordert. Fehlt einem Akteur die Wahrnehmung über das System, in dem er sich befindet, wird er Fehler durch sein Verhalten bei Entscheidungen im System begehen und er besitzt einen fehlerhaften Entscheidungsprozess.

Daher: Je chaotischer das System desto aktiver muss gehandelt werden

Was bedeutet das für den Entscheidungsprozess des Entscheiders?

Die Stacey-Matrix lässt auf Entscheidungsprozesse anwenden, da Entscheidungen von einem Akteur innerhalb eines Systems getroffen werden. Dies stellt die oben genannten Handlungen des Akteurs da.

Diese Wirkung auf einen Akteur und seinem Entscheidungsprozess werde ich in einem weiteren Blogartikel analysieren.